{"id":285,"date":"2014-02-25T12:37:45","date_gmt":"2014-02-25T11:37:45","guid":{"rendered":"?p=285"},"modified":"2014-02-25T12:37:45","modified_gmt":"2014-02-25T11:37:45","slug":"es-reicht","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/spd-boernsen.de\/?p=285","title":{"rendered":"Es reicht"},"content":{"rendered":"
(taz vom 22.Nov.2013) \u00a0Wer heutzutage \u00fcber die Ungleichheit der Einkommen und Verm\u00f6gen in der Bundesrepublik diskutieren m\u00f6chte, ist wohl beraten, mit einem drastischen Beispiel zu beginnen. Die drei\u00dfig DAX-Vorst\u00e4nde verdienten im Jahr vor der Wende 1989 jeweils 500.000 DM; sie erhielten damit zwanzigmal so viel wie ihre Arbeitnehmer. \u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Dieser Gr\u00f6\u00dfenordnung n\u00e4hern sich n\u00e4mlich auch inzwischen die deutschen Verm\u00f6gensbesitzer an. Denn das oberste Dezil, das 1977 noch 42 Prozent des gesamten Geldverm\u00f6gens bei sich versammelt hatte, erreichte 2010 bereits 66 Prozent; das oberste ein Prozent kam auf 36 Prozent. Der neue \u201eArmuts- und Reichtumsbericht\u201c der Bundesregierung hat diese Explosion gegen den Widerstand der FDP-Lemuren publik gemacht.<\/p>\n Inzwischen hat der Spiegel<\/em> recherchiert, dass deutsche Spitzenmanager und Banker au\u00dfer ihrem Einkommen noch eine sogenannte Betriebsrente erhalten, sobald sie aus ihren Unternehmen ausscheiden. Man denkt bei diesen biederen Worten an den Zuschlag, den ein Flie\u00dfbandarbeiter nach 40 Jahren im Betrieb erhalten mag, bei den deutschen Topleuten handelt es sich aber bei ihrem Ausscheiden um bis zu 39 Millionen Euro!<\/p>\n Eine grotesk niedrige Erbschaftssteuer<\/b><\/p>\n Gleichzeitig hat die rasante Vermehrung der im Wirtschaftswunder von 1950 bis 1973 verdienten Millionen dazu gef\u00fchrt, dass von 2000 bis 2010 2\u00a0Billionen Euro vererbt worden sind; f\u00fcr die Zeitspanne von 2010 bis 2020 hat das Statistische Bundesamt mit dem Institut f\u00fcr Altersvorsorge noch einmal 3,2 Billionen Euro Erbmasse prognostiziert. Diese Summen unterliegen einer grotesk niedrigen Erbschaftssteuer, die das Bundesfinanzgericht f\u00fcr \u201enicht verfassungsgem\u00e4\u00df\u201c erkl\u00e4rt hat, so dass das Bundesverfassungsgericht jetzt eine korrigierende Grundsatzentscheidung f\u00e4llen soll.<\/p>\n Innerhalb weniger Jahre hat sich mithin eine drastische Verschiebung der Einkommens- und Verm\u00f6gensrelationen ereignet. W\u00e4hrend in den letzten zehn Jahren die Realeinkommen der Arbeitnehmer stagnierten \u2013 die Bundesrepublik ist da das einzige Land in ganz Europa \u2013, ist auf der obersten Etage der gro\u00dfen Unternehmen, vor allem auch der Banken, eine Einkommenssteigerung von einer kleinen Machtelite durchgesetzt worden. Die \u201ekatastrophale Wirkung\u201c dieser Bereicherung haben der Bundestagspr\u00e4sident Lammert, der Kanzlerkandidat Steinbr\u00fcck und der ehemalige Daimler-Benz-Chef Reuter mit bitteren Worten kritisiert.<\/p>\n Was kann gegen diese Einkommens- und Verm\u00f6gensentwicklung getan werden? Politisch kann zum Beispiel die Steuerschraube am ehesten gedreht werden. Die R\u00fcckkehr zu einer Einkommenssteuer von maximalen 55 Prozent, wie sie unter Helmut Kohl galt, w\u00e4re trotz des Lamentos gegen Steuersteigerung m\u00f6glich.<\/p>\n Die Erbschaftssteuer sollte auf die franz\u00f6sische H\u00f6he von 50 Prozent erh\u00f6ht werden. Dann fl\u00f6ssen dem Staat, der sein Ausbildungs-, sein Rechts- und sein Au\u00dfenhandelssystem zur Verf\u00fcgung gestellt hat, aus der erweiterten Erbmasse 2,6 Billionen Euro zu, die eine Reform des Bildungs- und Verkehrssystems erm\u00f6glichen w\u00fcrde, ohne dem B\u00fcrger einen einzigen weiteren Steuercent abzuverlangen.<\/p>\n 5 Millionen Euro reichen<\/b><\/p>\n Nicht zuletzt k\u00f6nnte nach Schweizer Vorbild eine Einkommensbegrenzung der Geh\u00e4lter anvisiert werden. Das Jahreseinkommen der Spitzenmanager, das inzwischen bis zu 17 Millionen Euro erreicht hat, ist seit Langem umstritten. Als die \u201eSchutzvereinigung der Wertpapierbesitzer\u201c unl\u00e4ngst darauf insistierte, dass 10 Millionen Euro als Grenze des j\u00e4hrlichen Gehalts endlich fixiert werden sollten, protestierte der Pr\u00e4sident dieses Verbandes, der alles andere als Linksradikale versammelt, mit dem energischen Einwand, dass in Deutschland f\u00fcr 5 Millionen Euro jede gute Spitzenkraft zu gewinnen sei.<\/p>\n Gew\u00f6hnlich wird gegen derartige Vorschl\u00e4ge mit der Massenflucht von Unternehmertalenten gedroht. Das ist aber eine hohle Drohung, die alles andere als schnell verwirklicht werden kann. Und f\u00fcr jede derart entstehende L\u00fccke kann eine geeignete Frau oder ein Aufr\u00fccker aus der zweiten Linie gewonnen werden.<\/p>\n Wenn die Beratungen im Vorfeld der Gro\u00dfen Koalition schon so viele Probleme aufgreifen, w\u00e4re dann nicht die Zivilcourage w\u00fcnschenswert, auch f\u00fcr die Bundesrepublik eine Begrenzung der Jahreseinkommen vorzuschlagen? Und wer in diesen Gremien, wie neuerdings die SPD, f\u00fcr plebiszit\u00e4re Volksentscheidungen eintritt, k\u00f6nnte gewiss sein, dass eine solche Begrenzung mehrheitsf\u00e4hig w\u00e4re.<\/strong><\/p>\n Hans-Ulrich Wehler<\/b><\/p>\n ist Historiker. Seine f\u00fcnfb\u00e4ndige Deutsche Gesellschaftsgeschichte z\u00e4hlt zu den Standardwerken der Geschichtsschreibung. Zuletzt erschien \u201eDie neue Umverteilung. Soziale Ungleichheit in Deutschland\u201c (2013).<\/p>\n <\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" Die Reichen ernst nehmen (taz vom 22.Nov.2013)Eine kleine Machtelite hat sich in Deutschland zu einer historisch einzigartigen Gehaltssteigerung verholfen. Das muss man nicht dulden. \u00a0Wer heutzutage \u00fcber die Ungleichheit der Einkommen und Verm\u00f6gen in der Bundesrepublik diskutieren m\u00f6chte, ist wohl … Weiterlesen
Eine kleine Machtelite hat sich in Deutschland zu einer historisch einzigartigen Gehaltssteigerung verholfen. Das muss man nicht dulden.<\/strong><\/p>\n
\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Zwanzig Jahre sp\u00e4ter empfingen sie jedoch 6 Millionen Euro (12 Millionen DM) und damit das 200-Fache des Jahreseinkommens ihrer Arbeitnehmer. Keine noch so atemberaubende Leistungsvermehrung, die ohnehin nirgendwo zu erkennen ist, vermag diese extraordin\u00e4re Steigerung zu rechtfertigen.\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0
\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Das beneidete Vorbild ist der atemberaubende amerikanische Geh\u00e4ltersprung seit der Reagan-\u00c4ra, der h\u00e4ufig sogar das Dreifache der DAX-Einkommen \u00fcberschritten hat. Der Nobelpreistr\u00e4ger Joseph Stieglitz hat soeben pointiert angeklagt, dass die amerikanische Einkommens- und Verm\u00f6gensvermehrung prim\u00e4r dem obersten ein Prozent in der Sozialhierarchie zugute gekommen ist. Kein deutscher \u00d6konom hat sich bisher getraut, die Verh\u00e4ltnisse im eigenen Land so klar zu kritisieren.<\/p>\n