75 Jahre Gleichberechtigung der Frauen?

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, heißt es in Artikel 3, Absatz 2 unseres Grundgesetzes. Diesen Passus mussten die vier Mütter des Grundgesetzes hartnäckig erstreiten. Elisabeth Selbert, Helene Weber, Frieda Nadig und Helene Wessel waren die einzigen Frauen unter 65 stimmberechtigten Mitgliedern des Parlamentarischen Rats. Erst nach zwei Abstimmungsniederlagen, langen Diskussionen und öffentlichen Protesten verschiedener Frauenorganisationen wurde der Gleichheitsgrundsatz schließlich im Grundgesetz verankert, das am 23. 05. 1949 in Kraft trat. Helene Weber hatte darüber hinaus einen weiteren Passus in der Verfassung gefordert. „Verrichten Frauen gleiche Arbeit, so haben sie Anspruch auf gleiche Entlohnung.“ So lautete ihr Vorschlag, aber 

er schaffte es nicht ins Grundgesetz – vielleicht ein Grund, warum wir in Deutschland bis heute leider immer noch über Lohngleichheit debattieren müssen.

Die politische Umsetzung der Gleichstellung im Familienrecht nahm dann noch viel Zeit in Anspruch. Das 1957 verkündete Gleichberechtigungsgesetz strich erst das sogenannte Letztentscheidungsrecht des Mannes und es sollte noch lange dauern, bis der Gesetzgeber auch das Leitbild der Hausfrauenehe abschaffte.

Einen weiteren Sprung nach vorn brachte die Wiedervereinigung. Am 16.01.1992 beschloss die gemeinsame Verfassungskommission, den in Artikel 3 des Grundgesetzes formulierten Gleichheitsgrundsatz zu ergänzen: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Frauenrechtlerinnen aus Ost und West hatten sich damals gemeinsam dafür stark gemacht, festzuschreiben, dass Worten auch Taten folgen sollten.

Wie weit sind wir mit diesem Vorhaben bis heute gekommen? Theoretisch stehen Frauen alle Möglichkeiten der persönlichen und beruflichen Selbstverwirklichung offen. Tatsächlich aber sind Frauen noch immer vielfältigen Benachteiligungen ausgesetzt.

Das betrifft zum einen das Arbeitsleben. In Unternehmen haben sie oft das Nachsehen gegenüber ihren männlichen Kollegen, wenn es um den nächsten Karriereschritt geht. Selbst die Einführung der Frauenquote hilft da nicht wirklich weiter. In Handwerksbetrieben und mittelständischen Firmen schaffen es beispielsweise noch immer zu wenig Frauen an die Spitze. Das mag auch daran liegen, dass es sich für viele Frauen nach wie vor als Karrierebremse auswirkt, wenn sie versuchen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Zwar gehen auch schon viele Väter in Elternzeit, aber die Hauptlast der Erziehungsarbeit liegt meist noch immer bei den Frauen. Viele Mütter entscheiden sich nach der Geburt ihres Kindes dafür, nur noch in Teilzeit zu arbeiten und selbst, wenn die Frauen wieder mit Vollzeit in den Job einsteigen wollen, müssen sie sich nach der Rückkehr ins Unternehmen oft genug mit einer Stelle unterhalb ihrer eigentlichen Qualifikation oder Hierarchiestufe begnügen. Das alles ist zuallererst ein Ärgernis für die betroffenen Frauen, es ist aber auch volkswirtschaftlich unvernünftig, weil gemischte Leitungsteams nachweislich bessere Ergebnisse bringen. Eine ganze Reihe internationaler Studien kommt zu dem Schluss: „Unternehmen, in denen Frauen zu einem hohen Anteil Managementverantwortung tragen, arbeiten profitabler.

Zum anderen verdienen Frauen viel mehr finanzielle Unterstützung und Respekt in unserer Gesellschaft. Egal, ob sie sich dafür entscheiden, für ihre Familien da zu sein und ihre Kinder zu erziehen oder kranke und betagte Angehörige zu pflegen, was ebenfalls hauptsächlich Frauensache ist. Für diese Leistungen, die in der Regel „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ gestemmt werden und die psychisch wie körperlich oft sehr belastend sind, verdienen Frauen mehr Wertschätzung als sie bis heute erfahren. Alleinerziehenden Müttern droht sonst zudem Altersarmut und ihren Kindern Armut.

Leider ist auch die Gewalt gegen Frauen in unserem Land nach wie vor tägliche Realität. Jedes Jahr müssen beispielsweise mehr als 15.000 Betroffene in Frauenhäusern Zuflucht suchen, um sich und ihre Kinder vor häuslicher Gewalt zu schützen und jede Stunde werden mehr als 14 Frauen Opfer von partnerschaftlicher Gewalt, Die Dunkelziffer ist dabei noch nicht berücksichtigt.

Wir müssen also weiter daraufhin arbeiten, dass jede Frau Unterstützung in allen Lebenslagen erhält, denn davon profitieren wir letztlich alle. Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen“ – das wusste schon der große deutsche Schriftsteller und Journalist Kurt Tucholsky.